Vortragsreihe TACHELES

Podiumsdiskussion „Brauchen wir den Verfassungsschutz?“

Referent

Beate Bube, Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (pro)

Dr. Till Müller-Heidelberg, Rechtsanwalt, Humanistische Union (contra)

Veranstaltungsbeschreibung

12. Juni 2013, 20 Uhr s.t., Kollegiengebäude III – Raum 3044

Die Diskussion zwischen Beate Bube und Till Müller-Heidelberg zog 75 Besucherinnen und Besucher an. Bereits die Einführung des Landesvorsitzenden der Humanistischen Union Baden-Württemberg, Udo Kauß, machte klar, wie sich die Veranstalter bzgl. der Titelfrage positionieren. Mit dem Verfassungsschutz, dessen Existenz nur durch das gesellschaftliche Vergessen seiner vielzähligen Skandale gesichert sei, könne allenfalls ein Unstaat betrieben werden. Beate Bube war somit von Anfang an in der Defensive. In ihrem Eingangsstatement versuchte sie, die Legitimation des Verfassungsschutzes damit zu rechtfertigen, dass niemand sonst seine Aufgaben besser wahrnehmen könne. Die Polizei dürfe sich nur um konkrete Gefahren oder Straftaten kümmern. Es gebe aber im Vorfeld dessen Dinge, über die man Bescheid wissen wolle und deren staatliche und gesellschaftliche Kenntnis dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung diene. Zudem würden die Informationen an die zuständigen Stellen weitergeleitet. Bzgl. des NSU-Skandals wies sie darauf hin, dass hier ein Großteil der Probleme auf polizeiliches und staatsanwaltschaftliches Versagen zurückzuführen sei. Till Müller-Heidelberg stimmte mit Frau Bube darin überein, dass der NSU-Skandal in erster Linie ein solcher von Polizei und Staatsanwaltschaft sei. Nach seiner Auffassung würden derart kriminell agierende Gruppen den Verfassungsschutz gar nichts angehen. Das strukturelle Problem der Institution liege darin, dass Meinungskontrolle betrieben werde. Meinungen, ebenso wie ihre Äußerung, seien aber von der Verfassung geschützt und dürfen nicht überwacht werden, auch wenn sie sich gegen die Verfassung selbst richteten. Die Aufgabe des Verfassungsschutzes würde darin gesehen werden, „Extremisten“ und „Verfassungsfeinde“ zu überwachen. Dies seien jedoch nicht näher bestimmbare politische Kampfbegriffe. Der Verfassungsschutz sei überflüssig wie ein Kropf, da ihn Privates nichts angehe, Öffentliches die Gesellschaft selbst wahrnehme und darauf reagieren könne und die Verhinderung und Verfolgung von Gewalt Aufgabe der Polizei sei. Als Frühwarnsystem funktioniere der Verfassungsschutz sowieso nicht. Gegenmaßnahmen gegen nicht gewollte, aber strafrechtlich nicht normierte Bestrebungen dürften zudem nur von der Gesellschaft selbst und nicht von Behörden ergriffen werden. Die Gesellschaft sei also der eigentliche Verfassungsschutz.

Obwohl Beate Bube darauf bestand, dass der Verfassungsschutz Baden-Württemberg nicht unmittelbar für das behördlichen Versagen bei der Aufdeckung des NSU verantwortlich sei, nahm Till Müller-Heidelberg die dahingehende Frage von Christian Rath auf und unterstrich, dass sich gerade am NSU-Fall die Unsinnigkeit eines Verfassungsschutzes zeige. Die Feststellung einer reinen Gewaltbereitschaft sei schlicht nicht möglich, komme es zu Gewalt, müsse die Polizei richtig ermitteln und dürfe nicht auch noch durch den Verfassungsschutz dabei behindert werden. Dieser sei aber strukturell darauf ausgerichtet, V-Leute zu decken und Informationen daher gerade nicht weiterzugeben. Der Versuch, die Verfassung durch die Beschäftigung ausgemachter Verfassungsfeinde als V-Leute zu schützen, sei absurd. Deren Informationen wären falsch oder jedenfalls gefiltert. Zudem stütze deren Bezahlung durch den Staat gerade diejenigen Bestrebungen, denen man entgegenwirken wolle.

Beate Bube sah das Anwerben von V-Leuten demgegenüber zwar als moralisch problematisch an, jedoch hielt sie ihren Einsatz für nötig, um das virulente Interesse der Gesellschaft an bestimmten Gruppierungen zu stillen. Das rechtfertige auch die Bezahlung der V-Leute. Außerdem gehe es auch nicht um Meinungskontrolle, sondern um die Überwachung von Gruppierungen mit aktiver Zielverfolgung. Letzteres ließ Till Müller-Heidelberg nicht gelten, da auch derartige Gruppierungen Meinungen haben dürften, die sie aktiv vertreten könnten. Gerade dies mache Meinungs- und Versammlungsfreiheit aus.

Eine wichtige Diskussion, die geführt werden muss, um der Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass wir einen behördlichen Verfassungsschutz nicht brauchen, er vielmehr demokratische und verfassungsrechtliche Prinzipien verletzt.