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Rücktritt nach fehlgeschlagenem Einzelakt, wenn die Tatvollendung weiterhin möglich bleibt







Tags


Versuch; Rücktritt; fehlgeschlagener Versuch; Fehlschlag; Einzelakt; Gesamtbetrachtung; Vollendung; Tatplan


Problemaufriss


Ist ein Versuch fehlgeschlagen, hält der Täter die Vollendung also nicht mehr für möglich, ist nach Sinn und Zweck des § 24 für einen strafbefreienden Rücktritt kein Raum mehr. Scheitert jedoch lediglich der Einsatz des zunächst anvisierten Mittels und kann die Vollendung noch durch einen weiteren Angriff oder ein neues Mittel herbeigeführt werden, ist fraglich, ob der Täter dann noch zurücktreten kann.


Beispiel: A schießt mit Tötungsvorsatz auf B und trifft diesen im Oberkörper. B geht zunächst zu Boden. Zur Überraschung des A steht B jedoch kurze Zeit später wieder auf und ergreift die Flucht. Obwohl A noch einen weiteren Schuss auf B abfeuern könnte und er sich vorgenommen hatte, so oft wie nötig zu schießen, lässt er ihn laufen. Kann A wirksam vom versuchten Totschlag zurücktreten?


Problembehandlung


Ansicht 1: Nach der Einzelakts­theorie ist der Versuch dann fehlgeschlagen, wenn der Täter zutreffend oder irrig annimmt, eine zur Erfolgsherbeiführung für hinreichend gehaltene Maßnahme sei misslungen (Bergmann ZStW 100 [1988], 329, 351 ff.; HaasZStW 123 [2011], 226 , 247.; Geilen


JZ 1972, 335, 337 f.; Schönke/Schröder StGB, 30. Aufl. 2019, § 24 Rn. 20). Jeder einzelne Ausführungsakt muss somit gesondert betrachtet werden. Beispiel: Der erste Schuss stellt einen eigenen Versuch dar. Er ist fehlgeschlagen. A kann nicht zurücktreten.


Kritik: Gegen die Einzelaktstheorie spricht, dass sie einen einheitlichen Lebensvorgang auseinanderreißt und dadurch die Rücktrittsmöglichkeiten zu sehr einschränkt. Dies ist besonders im Hinblick auf den Opferschutz problematisch. Der Täter hätte, wenn er nicht mehr strafbefreiend zurücktreten kann, keinen Grund mehr vom Opfer abzulassen (Wessels/Beulke/Satzger Strafrecht AT, 50. Aufl. 2020, Rn. 1016; Roxin Strafrecht AT II, 2003, § 30 Rn. 178).


Ansicht 2: Die sog. Tatplantheorie stellt auf den Planungshorizont ab. Ist der Täter bei seiner Planung davon ausgegangen mit nur einer bestimmten Handlung den Erfolg herbeizuführen, so ist der Versuch bei Misslingen dieser Tat fehlgeschlagen. Hat der Täter jedoch von vornherein verschiedene bestimmte oder noch unbestimmte Akte einkalkuliert, so ist der Versuch erst dann fehlgeschlagen, wenn alle Akte misslungen sind (BGH NJW 1957, 595, 596; BGH NJW 1980, 195; vgl. Kindhäuser Strafrecht AT, 9. Aufl. 2020, § 32 Rn. 4e).


Beispiel: A hat bei der Tatplanung auch weitere Schüsse auf B einkalkuliert. Der Versuch ist nicht fehlgeschlagen und ein Rücktritt folglich möglich.


Kritik: Für das Ergebnis können die mehr oder weniger zufälligen Vorstellungen des Täters nicht entscheidend sein. Maßgeblich kann nur das konkrete Tatgeschehen sein. Außerdem werden besonders gefährliche Täter, die vor der Tatbegehung alle möglichen Handlungsalternativen einplanen, privilegiert (Systematischer Kommentar StGB/Rudolphi [April 1993], § 24 Rn. 12a; Gropp/SinnStrafrecht AT, 5. Aufl. 2020 ).


Ansicht 3: Nach der Gesamtbetrachtungslehre ist ein Versuch noch nicht fehlgeschlagen, wenn der Täter annimmt die Tat mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln in unmittelbarem Anschluss an sein bisheriges Tun noch vollenden zu können. Unabhängig davon, ob diese Annahme zutrifft, besitzt der Täter dann die Möglichkeit insgesamt vom Versuch zurückzutreten (RengierStrafrecht AT, 12. Aufl. 2020, § 37 Rn. 49). Für die Gesamtbetrachtungslehre spricht, dass in der weiteren Ausführung nur die Aufrechterhaltung des ursprünglichen Tatentschlusses liegt.


Beispiel: A weiß, dass er unmittelbar erneut auf B schießen könnte. Somit liegt kein fehlgeschlagener Versuch vor und ihm steht die Möglichkeit eines Rücktritts offen.


Kritik: Ein Täter, der das Geschehen bereits mehrfach aus der Hand gegeben hat und das Opfer damit in höchste Gefahr gebracht hat, kann immer noch zurücktreten. Im Extremfall steht einem Täter der Rücktritt offen, der 99 gezielte Schüsse auf sein Opfer abgegeben hat, wenn er nur denkt, mit seiner letzten Patrone noch treffen zu können (Bergmann ZStW 100 [1988], 329, 338; Schönke/SchröderStGB, 30 Aufl. 2019, § 24 Rn. 18a).


In der Fallbearbeitung: Wenn in der Fallbearbeitung kein fehlgeschlagener Versuch angenommen wird, ist abzugrenzen, ob ein beendeter oder unbeendeter Versuch vorliegt, da sich die Voraussetzungen für einen Rücktritt danach richten.















Die Seite wurde zuletzt am 17.4.2023 um 9.53 Uhr bearbeitet.



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